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Erblichkeit der Intelligenz. Eine Klarstellung aus biologischer Sicht

Zusammen mit dem Hamburger Journalisten Martin Niggeschmidt habe ich 2016 ein Kompendium zur "Erblichkeit der Intelligenz" in der Reihe "essentials" vom Springer Verlag VS publiziert. Ich führe hier auch Links zu der dadurch ausgelösten Debatte auf.

Cover des Buches 

Fischbach, K.-F., & Niggeschmidt, M. (2016). Erblichkeit der Intelligenz: Eine Klarstellung aus biologischer Sicht. Springer-Verlag.

 

Aus dem Klappentext: 

Dieses Kompendium greift ein umstrittenes Thema auf: Ist Intelligenz erblich? Bei der Beantwortung dieser Frage geraten selbst Fachleute ins Schwimmen. Schuld daran sind missverständliche Fachbegriffe und überzogene Vorstellungen von der Aussagekraft des in der Intelligenzforschung genutzten Erblichkeitsmodells. Karl-Friedrich Fischbach und Martin Niggeschmidt erläutern das Modell aus Sicht der Biologie – jenes Wissenschaftsbereichs also, in dem es ursprünglich entwickelt wurde. Wer sich die Logik des Modells vergegenwärtigt, stellt fest: Intelligenz als „erblich“ zu bezeichnen, ist unpräzise und irreführend.

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 Rezensionen:

Auf Spektrum.de  sowie im Spektrum der Wissenschaft (Juli 2016, als PDF) von Arne Baudach

- Im FAZ-Blog von Joachim Müller-Jung, dem Leiter des Ressorts "Natur und Wissenschaft"

- Erwähnung auf Spiegel-Online in der Kolumne von Jakob Augstein

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Als Reaktion auf den essentials-Band eingefordert:

- Warum Thilo Sarazzin die Genetik nicht versteht (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 1. Mai 2016, Seite 24)

- ZDF heute+ Interview (wurde inzwischen aus der Mediathek genommen)

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Reaktionen auf Fischbach&Niggeschmidt auf der selbsternannten "Achse der Guten"

Sarrazin reagiert auf meinen FAS-Artikel

Meine und Herrn Niggeschmidts Antwort

Prof. Gerald Wolf springt Herrn Sarrazin bei

Woraufhin Sarrazin noch einmal reagiert

("lesenswert" ist die oft rein ideologisch ohne Sachkenntnis geführte Diskussion auch unter den entsprechenden Artikeln, lesenswert, da sie über die emotionale und unsachliche Stimmung in entsprechenden Kreisen viel aussagt)

Unsere Stellungnahme zu der Debatte auf der "Achse der Guten" wurde dort nicht mehr angenommen, weshalb ich diese jetzt hier einfüge:

 

Fortsetzung der Debatte:

Warum es missverständlich ist, Intelligenz als „erblich“ zu bezeichnen

Karl-Friedrich Fischbach und Martin Niggeschmidt

Ist Intelligenz nun erblich oder nicht? Die Frage ist schwieriger zu beantworten, als es den Anschein hat, weil man klären muss, über was man spricht. „Erblich“ bedeutet in der Alltagssprache etwas anderes als in der Fachsprache. Wenn man liest, Intelligenz sei zu 50 bis 80 Prozent „erblich“, könnte man gemäß der alltagssprachlichen Bedeutung des Wortes vermuten: 50 bis 80 Prozent der Intelligenz eines Individuums seien genetisch festgelegt, nur der Rest sei formbar. Oder: Intelligenz werde zu 50 bis 80 Prozent an die Nachkommen vererbt. Beide Interpretationen sind falsch.

In der biologischen Fachsprache bezeichnet „Erblichkeit“ etwas anderes: nämlich den genotypischen Varianzanteil an Merkmalsunterschieden. Und in diesem Punkt hat Thilo Sarrazin völlig Recht: Der genotypische Varianzanteil (die „Erblichkeit“) kann am besten als Indiz für den Grad an Chancengleichheit interpretiert werden. (Was mit der alltagssprachlichen Bedeutung des Wortes „Erblichkeit“ nicht viel zu tun hat.)

Worin die Brisanz der von Thilo Sarrazin beschriebenen „idealen Gesellschaft“ liegen soll, die vollständige Chancengleichheit herstellt, können wir allerdings nicht nachvollziehen. Nehmen wir an, man habe für eine Gruppe einen genotypischen Varianzanteil für Test-Intelligenz von 50 bis 80 Prozent ermittelt, was der in der Fachliteratur für diese Eigenschaft immer wieder genannten „Erblichkeitsspanne“ entspricht. Von Chancengleichheit (genotypischer Varianzanteil von 100 Prozent, das heißt: die Unterschiede sind vollständig genetisch bedingt) wäre man dann noch ziemlich weit entfernt - und so lange dies der Fall ist, kann man doch wohl mit Fug und Recht auf die „Ungerechtigkeiten des Systems“ verweisen.

Nun bezieht sich der genotypische Varianzanteil immer nur auf die Merkmalsunterschiede in einer bestimmten Gruppe zu einer bestimmten Zeit. Wer sich mit dem Erblichkeitsmodell beschäftigt hat, weiß, dass der genotypische Varianzanteil für die Eigenschaft „Test-Intelligenz“ je nach sozialem Status und Alter der untersuchten Gruppe variiert – und durchaus in den Bereich unter 50 Prozent und sogar bis gegen Null rutschen kann. Deshalb ist es unsinnig, zu behaupten, es gebe für diese Eigenschaft „allgemeingültige“ Erblichkeitswerte.

Das Erblichkeitsmodell der quantitativen Genetik hat eine eng begrenzte Aussagekraft, und wir plädieren dafür, sich diese Begrenztheit bewusst zu machen. Wer den wissenschaftlichen mit dem alltagssprachlichen Erblichkeitsbegriff verwechselt, zieht leicht die falschen Schlüsse aus der scheinbar so eindeutigen Aussage: „Intelligenz ist erblich.“

Wir schlagen in unserem Büchlein deshalb vor, statt „Erblichkeit“ lieber den präziseren Begriff „genotypischer Varianzanteil“ zu verwenden. Womit wir bei der Buchrezension von Prof. Dr. Gerald Wolf angelangt wären: Uns vorzuwerfen, wir leugneten „genetisch bedingte Intelligenzunterschiede“, ist ziemlich absurd. Denn der „genotypische Varianzanteil“ ist ja gerade jener Anteil an der Gesamtvarianz, der auf genotypische Unterschiede zurückzuführen ist.

Was trotz aufwändiger Forschungen nicht bewiesen ist (und trotzdem immer wieder behauptet wird), sind genetisch bedingte Unterschiede der Test-Intelligenz zwischen Gruppen (z. B. zwischen sozialen Schichten und Ethnien). Nur wenn man diese Unterschiede unterstellt, kann man die These vertreten, Deutschland werde aus „dysgenischen“ Gründen immer dümmer, weil sich Unterschichten und bildungsferne Einwanderer stärker vermehren als die gebildeten Schichten.

Wenn die Merkmals-Mittelwerte zweier Gruppen sich unterscheiden, wäre selbst ein 100%iger genotypischer Varianzanteil innerhalb der Gruppen kein Beweis dafür, dass der Unterschied zwischen den Gruppen genetische Ursachen hat! Als Beispiel können zwei identische und homogene Getreidefelder dienen, die mit dem gleichen Saatgut bestückt wurden. Das eine wird gedüngt, das andere nicht.

Was jetzt in Bezug auf Intelligenz die richtige Düngung ist, ist die eigentlich wichtige Frage, die uns bewegen sollte.

 

 

 

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